29.12.2014 von
Wesentliche Teile des Urteils:
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
I. BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 14 IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 8 DER KONVENTION
28. Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 8 der Konvention, dass die Gerichtsentscheidungen, mit denen das gemeinsame Sorgerecht abgelehnt worden sei, sein Recht auf Achtung seines Familienlebens verletzt hätten, und nach Artikel 14 i. V. m. Artikel 8 der Konvention, dass die Anwendung von § 1626a Abs. 2 BGB eine ungerechtfertigte Diskriminierung unverheirateter Väter wegen des Geschlechts und im Vergleich zu geschiedenen Vätern darstelle.
Artikel 8 lautet:
„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
Artikel 14 lautet wie folgt:
„Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“
1. Das Vorbringen der Regierung
29. Die Regierung brachte vor, dass § 1626a Abs. 2 BGB die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse zugrunde liege, in die Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern hineingeboren werden, und die von der intakten Vater-Kind-Beziehung bis zur Gleichgültigkeit des Vaters reiche. Mit der primären Zuordnung der elterlichen Sorge an die Mutter, die – im Gegensatz zum Vater – mit dem Zeitpunkt der Geburt feststehe, sollte im Sinne der Rechtssicherheit eine klare Zuordnung des Sorgerechts und damit zum Schutz des betroffenen Kindes von Anfang an eine verbindliche Festlegung seines gesetzlichen Vertreters erfolgen. Dem Zustimmungserfordernis beider Elternteile für die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge liege der Gedanke zugrunde, dass Eltern, die sich über die Abgabe einer Sorgeerklärung nicht einigen könnten, mit hoher Wahrscheinlichkeit in Konflikt geraten würden, wenn es um konkrete Fragen der Ausübung der elterlichen Sorge gehe; dies könne zu belastenden Auseinandersetzungen führen, die dem Wohl des Kindes abträglich seien.
30. Die Regierung betonte darüber hinaus, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben habe, sämtliche Entwicklungen zu beobachten und zu prüfen, ob die dem Regelungskonzept zugrunde liegenden Annahmen auch vor der Wirklichkeit Bestand hätten. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, habe sie verschiedene Maßnahmen ergriffen und z.B. statistische Daten erhoben und Untersuchungen durchgeführt. Im März 2009 sei ein Forschungsvorhaben zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern auf den Weg gebracht worden. Allerdings hätten die genannten Untersuchungen noch keine eindeutigen Ergebnisse erbracht.
31. Nach Auffassung der Regierung war der Eingriff in die geltend gemachten Rechte des Vaters durch die gesetzliche Regelung, welche die gemeinsame elterliche Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, um das berechtigte Ziel des Schutzes des Kindeswohls zu erreichen, auch wenn es in dieser Frage keinen Konsens in Europa gibt. Zwar sehe die überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten eine Beteiligung des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters am Sorgerecht unabhängig vom Willen der Mutter oder zumindest durch gerichtliche Anordnung nach einer Kindeswohlprüfung vor, in anderen europäischen Ländern (wie z. B. in Österreich, Liechtenstein, in der Schweiz und in Dänemark) bestehe aber eine mit den deutschen Vorschriften vergleichbare Regelung. Da der Gerichtshof nicht die abstrakte Gesetzeslage beurteile, sondern die Art und Weise, in welcher die Regelungen unter den konkreten Umständen auf den Beschwerdeführer angewandt werden, sei die unter Mithilfe des Jugendamtes getroffene Vereinbarung der Eltern, die dem Beschwerdeführer jährlich gut vier Monate Umgang mit dem Kind gewährt habe, zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer habe somit die Möglichkeit gehabt, großen Anteil am Leben seiner Tochter zu nehmen. Er sei durch die Regelung zugunsten der Mutter weder diskriminiert worden, noch habe diese eine Ungleichbehandlung gegenüber verheirateten bzw. geschiedenen Vätern bewirkt. Die Situation von Mutter und Vater sei nicht völlig vergleichbar, weil die Vaterschaft, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, nicht von vornherein bestimmt werden könne. Die vorgenannten Vorschriften des BGB knüpften nicht an das Geschlecht an, sondern wollten, die Interessen aller Berechtigten so weit als möglich berücksichtigend, die elterliche Sorge bei nichtehelich geborenen Kindern in einem ausgewogenen Verhältnis gestalten. Überdies sei die gemeinsame Sorgetragung mit der Mutter nach deutschem Recht unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind, an deren Einwilligung gebunden. Die Regierung brachte schließlich vor, dass unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Anordnung der gemeinsamen Sorge zu Konflikten zwischen beiden Elternteilen führe und dem Kindeswohl daher abträglich sei.
2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers
32. Der Beschwerdeführer beanstandete, dass es das Wohl eines nichtehelich geborenen Kindes nicht rechtfertige, dass ein Vater, der sich in der Vergangenheit um das Kind gekümmert habe, kein gemeinsames Sorgerecht erhalten könne. Bei der Annahme, dass die gemeinsame Sorge gegen den Willen der Mutter dem Kindeswohl zwangsläufig abträglich sei, handele es sich um reine Vermutungen. Nach anwendbarem Recht müssten die Behörden und Gerichte das Kindeswohl nicht einmal in Betracht ziehen, da das Gesetz ausdrücklich vorsehe, dass ein Vater ohne Zustimmung der Mutter kein gemeinsames Sorgerecht erhalten könne. Überdies sei das Kind in der vorliegenden Rechtssache nicht angehört worden. § 1626a Abs. 2 BGB beruhe auf der Annahme, dass Väter nichtehelich geborener Kinder im Vergleich zu Müttern nichtehelich geborener Kinder weniger geeignet seien, die elterliche Sorge auszuüben. Die vorliegende Individualbeschwerde beweise jedoch das Gegenteil, da der Beschwerdeführer sich nämlich hervorragend um seine Tochter gekümmert habe. Außerdem habe die Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Fall keine hinreichenden Gründe dafür vorgebracht, dem Beschwerdeführer das Sorgerecht vorzuenthalten, das er ausüben wolle. Der deutsche Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass das Sorgerecht eines Vaters angesichts der angeblich zahlreichen instabilen Beziehungen mit nichtehelich geborenen Kindern in der Gesellschaft nicht gerechtfertigt sei, und ignoriere dabei Entwicklungen wie die steigende Zahl unverheirateter Paare, die die elterliche Sorge gemeinsam ausüben wollten. Es sei daher nicht akzeptabel, das gemeinsame Sorgerecht für Väter nichtehelich geborener Kinder aufgrund negativer Erfahrungen mit der Ausübung der gemeinsamen Sorge durch Paare in instabilen Beziehungen generell auszuschließen. Überdies sei der Gesetzgeber seiner Verpflichtung, die neuesten Entwicklungen zu beobachten, nicht hinreichend nachgekommen.
33. Da seine Vaterschaft von Anfang an festgestanden habe, bestehe in vorliegender Rechtssache keine Rechtsunsicherheit. Des Weiteren hielt der Beschwerdeführer es für inakzeptabel anzunehmen, dass die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes für die Ausübung der Sorge a priori besser geeignet sei als der Vater, weil sie das Kind geboren habe. Die Mängel des derzeit anwendbaren innerstaatlichen Rechts lägen jedoch nicht so sehr darin, dass die Mutter zunächst das alleinige Sorgerecht erhalte, sondern darin, dass der Vater nicht die Möglichkeit habe, diese Entscheidung zu korrigieren. Selbst wenn die Weigerung der Mutter, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben, vollkommen willkürlich sei, habe der Vater keine Chance, diese Erklärung durch eine gerichtliche Verfügung nach § 1672 Abs. 1 BGB ersetzen zu lassen. Die rechtliche Lage verletze insbesondere dann das Recht des Vaters auf Achtung seines Familienlebens, wenn der Vater für erhebliche Zeit mit dem Kind Umgang gehabt habe und er eine enge Bindung zu dem Kind habe. In Bezug auf Artikel 14 brachte der Beschwerdeführer vor, dass das anwendbare Recht ihn ohne hinreichenden Grund wegen seines Geschlechts und als unverheirateten Vater diskriminiere. Das Kindeswohl würde es nicht zulassen, dass die Mutter eine gemeinsame Sorgeerklärung verhindere. Außerdem habe der Beschwerdeführer keine Möglichkeit, die fehlende Zustimmung durch eine gerichtliche Entscheidung zu ersetzen.
3. Würdigung durch den Gerichtshof
34. Angesichts der behaupteten Diskriminierung des Beschwerdeführers in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelichen Kindes hält es der Gerichtshof für angebracht, die Rechtssache zunächst nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention zu prüfen.
A. Anwendbarkeit
35. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 14 lediglich eine Ergänzung der übrigen materiellrechtlichen Bestimmungen der Konvention und der Protokolle dazu darstellt. Er existiert nicht für sich allein, da er nur in Bezug auf den „Genuss der Rechte und Freiheiten“, die durch diese Bestimmungen geschützt sind, Wirkung entfaltet. Obgleich die Anwendung von Artikel 14 eine Verletzung dieser Bestimmungen nicht voraussetzt – und er insoweit autonom ist –, kann es Raum für seine Anwendung nur geben, wenn der in Frage stehende Sachverhalt unter eine oder mehrere dieser Bestimmungen fällt (siehe u.a. Urteil
Abdulaziz, Cabales und Balkandali ./. Vereinigtes Königreich vom 28. Mai 1985, Serie A Band 94, Rdnr. 71, und Urteil .K. S. ./. Deutschland vom 18. Juli 1994, Serie A Band 291-B, Rdnr. 22).
36. Der Gerichtshof muss deshalb feststellen, ob Artikel 8 der Konvention in der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist.
37. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass der Begriff der Familie nach dieser Bestimmung nicht auf durch Ehe begründete Beziehungen beschränkt ist und auch andere de facto „Familien”-Beziehungen umfassen kann, wenn die Beteiligten in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenleben. Ein Kind, das aus einer solchen Beziehung hervorgeht, ist vom Augenblick seiner Geburt an und schon allein durch seine Geburt ipso iure Teil dieses „Familien”-Verbandes. Zwischen dem Kind und seinen Eltern besteht also eine Bindung, die dem Familienleben gleichkommt (siehe Urteil Keegan ./.
Irland vom 26. Mai 1994, Serie A, Band 290, Rdnr. 44). Ob ein „Familienleben” im Sinne von Artikel 8 besteht, ist im Wesentlichen eine Tatsachenfrage, bei der es darauf ankommt, ob tatsächlich und praktisch enge persönliche Bindungen vorliegen, insbesondere das nachweisbare Interesse des Vaters an dem Kind und sein Bekenntnis zu ihm sowohl vor als auch nach der Geburt (siehe u. a. Lebbink ./. Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 45582/99, Rdnr. 36, ECHR 2004-IV).
38. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass für einen Elternteil und sein Kind das Zusammensein einen grundlegenden Bestandteil des Familienlebens darstellt, selbst wenn die Beziehung zwischen den Eltern zerbrochen ist, und innerstaatliche Maßnahmen, welche die Betroffenen an diesem Zusammensein hindern, einen Eingriff in das durch Artikel 8 der Konvention geschützte Recht bedeuten (siehe u. a. Urteil Johansen ./. Norwegen vom 7. August 1996, Urteils- und Entscheidungssammlung 1996-III, S. 1001-1002, Rdnr. 52, und E. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25735/94, Rdnr. 43, ECHR 2000-VIII).
39. Der Gerichtshof stellt fest, dass in der vorliegenden Rechtssache die Vaterschaft des Beschwerdeführers von Beginn an feststand und dass er mit der Mutter und dem Kind zusammenlebte, bis das Kind dreieinhalb Jahre alt war. Nach der Trennung der Eltern im Jahre 1998 lebte das Kind weiterhin mehr als zwei Jahre bei dem Beschwerdeführer. Seit 2001 lebt das Kind bei der Mutter, wobei der Vater ein umfangreiches Umgangsrecht gehabt und für die täglichen Bedürfnisse des Kindes gesorgt hat.
40. Folglich stellten die angegriffenen Maßnahmen in der vorliegenden Rechtssache, d.h. die Entscheidungen, mit denen der Antrag des Beschwerdeführers auf das gemeinsame Sorgerecht, also das Recht auf die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge u.a. in Bezug auf die Bildung und Betreuung seiner Tochter sowie die Bestimmung ihres Aufenthalts, abgelehnt wurde, einen Eingriff in das durch Artikel 8 Abs. 1 der Konvention garantierte Recht des Beschwerdeführers auf die Achtung seines Familienlebens dar.
41. Der Gerichtshof stellt deshalb fest, dass der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache unter Artikel 8 der Konvention fällt und dass Artikel 14 daher anwendbar ist.
B. Vereinbarkeit
42. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 14 im Hinblick auf den Genuss der nach der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten Schutz vor Ungleichbehandlung von Menschen in vergleichbaren Situationen bietet, wenn dafür keine sachlichen und vernünftigen Gründe gibt (siehe u.a. Urteil Hoffmann ./. Österreich vom 23. Juni 1993, Rdnr. 31, Serie A Nr. 255-C).
43. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelich geborenen Kindes zum einen eine Ungleichbehandlung gegenüber der Mutter rügte, da er keine Möglichkeit habe, ohne die Zustimmung der Mutter das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Zum anderen rügte er eine Ungleichbehandlung gegenüber verheirateten bzw. geschiedenen Vätern, die das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung oder Trennung von der Mutter behalten können.
44. Zur geltenden Rechtlage in Bezug auf Väter ehelicher Kinder im Vergleich zu Vätern nichtehelicher Kinder stellt der Gerichtshof fest, dass die geltenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Regelungen enthalten und zu einer unterschiedlichen Behandlung der beiden Gruppen von Elternteilen führen. Ein Elternteil der ersten Gruppe hat von vornherein und auch noch nach der Scheidung ein gesetzliches Recht auf die gemeinsame elterliche Sorge, das nur dann von einem Familiengericht eingeschränkt oder für ruhend erklärt werden kann, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Der Gerichtshof stellt fest, dass die elterliche Sorge für ein nichteheliches Kind hingegen der Mutter zusteht, es sei denn, die beiden Elternteile einigen sich darauf, die gemeinsame elterliche Sorge zu beantragen. Die einschlägigen Bestimmungen schließen zwar nicht kategorisch aus, dass der Vater künftig das gemeinsame Sorgerecht erlangen kann, doch nach §§ 1666 und 1672 BGB kann das Familiengericht das Sorgerecht nur dann auf den Vater übertragen, wenn das Wohl des Kindes durch Vernachlässigung seitens der Mutter gefährdet ist oder wenn ein Elternteil mit Zustimmung des anderen Elternteils einen entsprechenden Antrag stellt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, d.h. ist das Wohl des Kindes nicht gefährdet und stimmt die Mutter einer Übertragung des Sorgerechts nicht zu, wie im vorliegenden Fall festgestellt wurde, sieht das deutsche Recht keine gerichtliche Überprüfung der Frage vor, ob die Zuweisung der gemeinsamen elterlichen Sorge an beide Elternteile dem Kindeswohl dienen würde.
45. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es in Rechtssachen, die sich aus Individualbeschwerden ergeben, nicht Aufgabe des Gerichtshofs ist, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften abstrakt zu prüfen; er muss vielmehr prüfen, in welcher Weise diese Rechtsvorschriften unter den jeweiligen Umständen auf den Beschwerdeführer angewendet wurden und ob ihre Anwendung im vorliegenden Fall eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers zur Folge hatte (siehe S. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 31871/96, Rdnr. 86, ECHR 2003-VIII).
46. Im Hinblick auf die Umstände der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die deutschen Gerichte den Antrag des Beschwerdeführers auf das gemeinsame Sorgerecht für seine Tochter mit der Begründung abgelehnt haben, dass nach 1626a BGB die Mutter die elterliche Sorge habe, sofern nicht eine gemeinsame Sorgeerklärung der Eltern vorliege. Die Sichtweise der deutschen Gerichte im vorliegenden Fall entspricht demnach vollauf den zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Da nach dem innerstaatlichen Recht eine anderslautende Entscheidung nicht möglich war, prüften die innerstaatlichen Gerichte folglich nicht, ob in diesem konkreten Fall die Erteilung des gemeinsamen Sorgerechts das Wohl des Kindes gefährden würde oder im Gegenteil dem Kindeswohl dienlich wäre. Der entscheidende Punkt ist, dass das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Mutter eines nichtehelichen Kindes prima facie als dem Kindeswohl nicht dienlich angesehen wird.
47. Das Amtsgericht Köln und auch das Oberlandesgericht Köln stützten sich auf das Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003, das eine ausführliche Begründung hinsichtlich des Konflikts zwischen § 1626a BGB und dem Recht von Vätern nichtehelicher Kinder auf Achtung ihres Familienlebens enthält. Das Bundesverfassungsgericht befand, das Kindeswohl verlange, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person habe, die für das Kind rechtsverbindlich handeln könne. Angesichts der sehr unterschiedlichen Lebensverhältnisse, in die diese Kinder hineingeboren würden, sei es gerechtfertigt, grundsätzlich der Mutter das alleinige Sorgerecht zuzusprechen, und nicht dem Vater, der in jedem Fall die Möglichkeit habe, bei Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung die elterliche Sorge zu erhalten.
48. Unter Berücksichtung der vorgenannten Gerichtsentscheidungen und der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften stellt der Gerichtshof fest, dass hinreichende Gründe für die Schlussfolgerung vorliegen, dass es hinsichtlich der Übertragung des Sorgerechts auf den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelichen Kindes eine unterschiedliche Behandlung gegenüber der Mutter und gegenüber verheirateten Väter gegeben hat. Die Regierung trug in diesem Zusammenhang vor, die Situation von Mutter und Vater könne nicht als völlig vergleichbar angesehen werden, denn im Gegensatz zur Mutterschaft, die mit der Geburt feststehe, könne die Vaterschaft, wenn der Vater nicht mit der Mutter verheiratet sei, nicht von vornherein bestimmt werden. Nach Auffassung des Gerichtshofs sind diese Ausführungen für die Entscheidung darüber erheblich, ob die unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt war (siehe Urteil Rasmussen ./. Dänemark vom 28. November 1984, Rdnr. 37, Serie A Band 87).
49. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine unterschiedliche Behandlung im Sinne von Artikel 14 diskriminierend, wenn es für sie keine sachlichen und vernünftigen Gründe gibt, d.h. wenn mit ihr kein legitimes Ziel verfolgt wird oder die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen (siehe insbesondere Urteil Inze ./. Österreich vom 28. Oktober 1987, Rdnr. 41, Serie A Band 126, und Mazurek ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 34406/97, Rdnr. 48, ECHR 2000-II).
50. Die Vertragsstaaten haben einen Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob und inwieweit gewisse Unterschiede bei ansonsten ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (siehe Abdulaziz, Cabales und Balkandali, a.a.O., S. 35-36, Rdnr. 72). Der Umfang des Beurteilungsspielraums hängt von den Umständen, dem Gegenstand und dem Hintergrund des Falls ab; dabei kann ein maßgeblicher Faktor das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Gemeinsamkeiten zwischen den Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten sein (siehe u.a. Urteil Petrovic ./. Österreich vom 27. März 1998, Rdnr. 38, Urteils- und Entscheidungssammlung 1998-II).
51. Der Gerichtshof hat jedoch bereits festgestellt, dass nur wenn sehr schwerwiegende Gründe vorgetragen werden, eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts oder wegen nichtehelicher und ehelicher Geburt als mit der Konvention vereinbar angesehen werden kann (siehe K. S. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 24; Mazurek ./. Frankreich, a.a.O., Rdnr. 49). Dasselbe gilt für eine unterschiedliche Behandlung des Vaters eines aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft hervorgegangenen Kindes gegenüber dem Vater eines Kindes, das in einer durch Ehe begründeten Beziehung geboren wurde (siehe S. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 93).
52. Der Gerichtshof stellt fest, dass die angegriffenen Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte auf § 1626a BGB beruhen, dessen Ziel es ist, das Wohl eines nichtehelichen Kindes zu schützen, indem der gesetzliche Vertreter des Kindes bestimmt wird und Auseinandersetzungen zwischen den Eltern im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Sorge, die auf dem Rücken des Kindes ausgetragen werden, vermieden werden. Mit den Entscheidungen wurde also ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 14 verfolgt.
53. Der Gerichtshof erkennt an, dass der Gesetzgeber, indem er Eltern eines nichtehelichen Kindes gestattet, sich auf das gemeinsame Sorgerecht zu einigen, versucht, sie in gewissem Umfang verheirateten Eltern gleichzustellen, die sich mit dem Eheschluss dazu verpflichtet hätten, füreinander und für ein gemeinsames Kind Verantwortung zu tragen.
54. Der Gerichtshof ist sich darüber hinaus bewusst, dass die Lebensverhältnisse, in die Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern hineingeboren werden, unterschiedlich sind und von Beziehungen, in denen die Identität des Vaters nicht feststeht oder der Vater keine Verantwortung übernehmen will, bis hin zu Beziehungen reichen, in denen der Vater vollständig in die Erziehung des Kindes einbezogen ist und das Kind in Lebensverhältnissen aufwächst, die praktisch nicht von denen zu unterscheiden sind, die sich auf einer intakten Ehe der Eltern gründen.
55. Der Gerichtshof erkennt an, dass es angesichts dieser unterschiedlichen Lebenssituationen nichtehelicher Kindern und in Ermangelung einer gemeinsamen Sorgeerklärung gerechtfertigt war, zum Schutz des Kindeswohls die elterliche Sorge zunächst der Mutter zuzuweisen, um sicherzustellen, dass es ab der Geburt eine Person gab, die für das Kind rechtsverbindlich handeln konnte.
56. Der Gerichtshof erkennt ferner an, dass es triftige Gründe dafür geben kann, einem nicht verheirateten Vater die Teilhabe an der elterlichen Sorge zu versagen; dies kann der Fall sein, wenn Streitigkeiten oder mangelnde Kommunikation zwischen den Eltern das Kindeswohl gefährden. Es ist jedoch keineswegs erwiesen, dass die Beziehung zwischen nicht verheirateten Vätern und ihren Kindern generell durch eine solche Haltung gekennzeichnet ist.
57. Der Gerichtshof stellt insbesondere fest, dass die vorstehenden Erwägungen im Fall des Beschwerdeführers nicht zutrafen. Die Vaterschaft des Beschwerdeführers stand von Beginn an fest; er lebte mit der Mutter und dem Kind zusammen, bis das Kind dreieinhalb Jahre alt war, und nach der Trennung der Eltern noch weitere zwei Jahre mit dem Kind, insgesamt also mehr als fünf Jahre. Nachdem das Kind zur Mutter gezogen war, übte der Vater weiterhin ein umfangreiches Umgangsrecht aus und sorgte für die täglichen Bedürfnisse des Kindes. Dennoch war es dem Beschwerdeführer von vornherein kraft Gesetzes verwehrt, eine gerichtliche Überprüfung zu beantragen, ob die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl dienen würde, und eine möglicherweise willkürliche Weigerung der Mutter, dem gemeinsamen Sorgerecht zuzustimmen, durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzen zu lassen.
58. Der Gerichtshof ist nicht überzeugt von dem von der Regierung vorgetragenen und in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Argument, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass, wenn die Eltern zusammenlebten, die Mutter sich aber weigere, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben, dies eine Ausnahme sei und die Mutter dafür schwerwiegende Gründe habe, die vom Kindeswohl getragen seien. In diesem Zusammenhang begrüßt der Gerichtshof die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen, um dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob die dem Regelungskonzept zugrunde liegenden Annahmen auch vor der Wirklichkeit Bestand hätten. Er stellt jedoch fest, dass diese Untersuchungen noch keine klaren Ergebnisse erbracht haben und insbesondere, was die Beweggründe der Mütter für die Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge angeht, zeigen, dass diese nicht notwendig von Erwägungen des Kindeswohls getragen sein müssen.
59. Aus den vorstehenden Erwägungen kann der Gerichtshof die Annahme nicht teilen, dass das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Mutter prima facie dem Kindeswohl widerspricht.
60. Der Gerichtshof berücksichtigt zwar den großen Beurteilungsspielraum der Behörden, insbesondere bei Entscheidungen über Sorgerechtsangelegenheiten (siehe S. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 63), aber auch den sich in diesem Bereich weiterentwickelnden europäischen Kontext und die steigende Zahl nicht verheirateter Eltern. Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass die Konvention ein lebendiges Instrument ist, das im Lichte der heutigen Verhältnisse auszulegen ist (siehe u. a. Urteil Marckx ./. Belgien vom 13. Juni 1979, Rdnr. 41, Serie A Band 31, und Urteil Johnston u. a. ./. Irland vom 18. Dezember 1986, Rdnr. 53, Serie A Band 112). Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es zwar keinen europäischen Konsens darüber gibt, ob Väter nichtehelicher Kinder das Recht haben, das gemeinsame Sorgerecht auch ohne Zustimmung der Mutter zu beantragen, der gemeinsame Ausgangspunkt in den meisten Mitgliedstaaten offenbar jedoch ist, dass Entscheidungen über die Übertragung des Sorgerechts auf das Kindeswohl abstellen müssen und diese Übertragung im Falle eines Konflikts zwischen den Eltern der Prüfung durch die innerstaatlichen Gerichte unterliegen sollte.
61. Das insoweit von der Regierung angeführte Argument, unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache könne nicht ausgeschlossen werden, dass die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen Sorge zu Konflikten zwischen beiden Elternteilen führe und dem Kindeswohl daher abträglich sei, überzeugt den Gerichtshof nicht. Es stimmt zwar, dass Gerichtsverfahren, die die Zuweisung der elterlichen Sorge betreffen, immer potenziell zur Verunsicherung eines kleinen Kindes führen; der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass das innerstaatliche Recht eine umfassende gerichtliche Überprüfung der Zuweisung der elterlichen Sorge und bei der Lösung von Konflikten zwischen getrennten Eltern immer dann vorsieht, wenn der Vater ehemals sorgeberechtigt war, entweder weil die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verheiratet waren oder danach geheiratet haben oder die gemeinsame elterliche Sorge vereinbart hatten. In einem solchen Fall behalten die Eltern das gemeinsame Sorgerecht, es sei denn, das Gericht überträgt nach § 1671 BGB auf Antrag eines Elternteils in Übereinstimmung mit dem Kindeswohl das alleinige Sorgerecht auf diesen Elternteil.
62. Nach Auffassung des Gerichtshofs hat die Regierung nicht ausreichend begründet, warum die Umstände des vorliegenden Falls einen geringeren Rechtsschutz rechtfertigen als in diesen Fällen und warum der Beschwerdeführer, dessen Vaterschaft anerkannt ist und der diese Rolle übernommen hat, insoweit anders behandelt werden sollte als ein Vater, der ursprünglich die elterliche Sorge innehatte und sich später von der Mutter getrennt hat oder sich hat scheiden lassen.
63. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass bei der in Rede stehenden Diskriminierung der grundsätzliche Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter nicht in einem angemessenen Verhältnis stand zu dem verfolgten Ziel, nämlich dem Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes.
64. Folglich ist in der vorliegenden Rechtssache Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention verletzt worden.
65. Angesichts dieser Schlussfolgerung hält es Gerichtshof nicht für erforderlich zu prüfen, ob auch Artikel 8 der Konvention für sich genommen verletzt worden ist.
II. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION
66. Artikel 41 der Konvention lautet:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“
A. Schaden
67. Unter Berufung auf die Rechtssache E. (E. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25735/94, ECHR 2000-VIII) machte der Beschwerdeführer einen Betrag in Höhe von mindestens 15.000 Euro (EUR) als Entschädigung für Nichtvermögensschäden wegen des Kummers und der Frustration geltend, die er erlitten habe, weil er in seiner Rolle als Vater nicht förmlich anerkannt worden sei und nicht aktiv zu wesentlichen Entscheidungen über seine Tochter habe beitragen können.
68. Die Regierung stellte die Frage zwar in das Ermessen des Gerichtshofs, hielt die von dem Beschwerdeführer geforderte Summe aber für unangemessen hoch.
69. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass er nicht darüber spekulieren kann, ob dem Beschwerdeführer die elterliche Sorge übertragen worden wäre, wenn die innerstaatlichen Gerichte die Begründetheit seines Antrags in Übereinstimmung mit seinen Rechten aus der Konvention geprüft hätten. Unter Berücksichtigung ferner, dass der Beschwerdeführer – im Unterschied zu dem Vater in der Rechtssache E. – während des gesamten Verfahrens regelmäßigen Umgang mit seiner Tochter hatte, stellt nach Ansicht des Gerichtshofs die Feststellung einer Verletzung eine hinreichende gerechte Entschädigung für den vom Beschwerdeführer erlittenen immateriellen Schaden dar.